"Wundersamer Wipfelbewohner"
Viscum album
Erst im Winter, wenn die Bäume lichter werden und ihre Blätter fallen lassen, kann man sie richtig erkennen - die Misteln. Diese halbschmarotzende Heilpflanze wächst oft weit oben in den Baumwipfeln und unterscheidet sich in ihrem Wesen so sehr von allen anderen Pflanzen, dass man die Mistel seit jeher als faszinierend und geheimnisvoll bewertete.
Funktionsweise
Misteln docken sich an die Wasserleitungen ihrer Wirtsbäume an. Photosynthese betreiben sie aber selbst. Daher werden sie auch nur als Halbschmarotzer bezeichnet.
Die Misteldrosseln und Amseln fressen die Früchte der Misteln und verteilen den sich darin befindenden Samen durch ihre Ausscheidung an den Ästen und sorgen so für deren Vermehrung.
Ein Jahr nach der Verteilung des Samens wird erst die Senkwurzel in die Rinde gebohrt, ein weiteres Jahr braucht es, bis die ersten Blätter erscheinen. Erst als dreijährige Pflanze beginnen sie Verzweigungen auszubilden. Bis sie zu rundlichen Büscheln von bis zu einem halben Meter heranwachsen.
Eine normale Besiedelung schadet einem gesunden Baum nicht. Nimmt der Befall jedoch zu stark zu, kann sie den Baum in seinem Wuchs schädigen.
Unsere Vorfahren konnten sich so vieles damals nicht erklären. Auch die Mistel blieb ihnen ein Rätsel. Allein ihre Lebensweise, an Bäume gebunden, ihre immergrüne Farbe, wenn fast alles andere im Winterschlaf lag genügte, um sie mystisch wirken zu lassen.
Die Mistel wurde einst ebenso wie der Holunder, Weißdorn, Hagebutte und Schlehe zum Schutz vor Dämonen abgeschnitten und an Hof- und Haustüren befestigt.
Auch den Kelten war die Mistel heilig. Dadurch dass dieses Gewächs nicht direkt verbunden mit der Erde war, sahen sie es einmal mehr als ein Geschenk des Himmels. Wurde eine Mistel auf einer ebenso heiligen Eiche entdeckt, was sehr selten vorkam, begegnete man dieser mit besonderer Ehrfurcht. Für die Druiden war sie die wichtigste Heil- und Zauberpflanze.
Bei den Germanen wollte Fridda, Frau des Odin ihren Sohn, den Lichtgott Balder vor allem Bösen bewahren. Sie ließ sich von jedem, auch von allen Tieren und Pflanzen, das Versprechen geben, ihm kein Leid zuzufügen. Doch sie vergaß die Mistel. Der Wintergott Hödur tötete, in Zusammenarbeit mit Loki, dem Gott des Feuers und der List, Balder mit einem Speer aus Mistelholz.
In den Geschichten von Asterix und Obelix gab der Druide Miraculix, sie als wichtigste Zutat in seinen Zaubertrank.
Alte Namen wie "Hexennest" und "Donarbesen" deuten auch noch auf ihre langjährige Funktion als mächtige Zauberpflanze hin.
Noch heute kennen wir alle den Brauch, sich an Silvester unter einem an der Tür hängenden Mistelzweig zu küssen. Dies sollte im kommenden Jahr Glück in der Liebe bringen.
Die Blütezeit der unscheinbaren winzigen Mistelblüten erstreckt sich je nach Region von Februar bis April. Sie bestehen aus Büschelchen mit 3-5 gelbgrünen Blüten. Männliche und weibliche befinden sich dabei auf getrennten Pflanzen.
Die viel selteneren männlichen Blüten haben keine Staubfäden. Aus den weiblichen Blüten entwickeln sich dann im späten Herbst/frühen Winter die weißen bis zu 1cm großen, giftigen Beeren.
Auf allen Nadel- und Laubgehölzen mit eher weicherem Holz kann man die Laubholz-Misteln (Viscum album) finden. Außer auf Buchen. Sobald die Bäume ihr Blätterkleid verlieren, werden sie für uns erst richtig sichtbar.
Sie kommen oft auf Obstbäumen vor, von daher werdet ihr viele an Wegesrändern, die mit Äpfel- oder Birnbäumen bepflanzt sind, finden. Wie zum Beispiel in Michelbach auf dem Feldweg Richtung Goßfelden.
Auch an sehr hohen Bäumen, wie Pappeln und Weiden, die die Fluss- und Bachufer säumen, kann man sie gut erkennen.
Es ist nicht verboten, Mistelzweige zu ernten. Allerdings dürfen sie nicht ohne Genehmigung zu gewerblichen Zwecken gesammelt werden, der Baum darf dabei nicht beschädigt werden und es darf nicht in Naturschutzgebieten geschehen. Am Boden liegende Exemplare dürfen so oder so mitgenommen werden.
Früher wurden Misteln mit goldenen Sicheln geerntet und durften den Boden nicht berühren.
"Die Drossel bereitet sich selbst das Unheil“
Altes, aus dem Lateinischen übersetztes Sprichwort über den Umstand, dass man bereits im alten Rom mit dem klebrigen, zähen Fleisch der Mistelfrüchte die Ruten zur Vogeljagd eingeschmiert hat.
Hinweis: Der Besuch dieser Seite ersetzt nicht die Beratung eines Arztes oder Apothekers.
Buchquellen:
"Das große Buch
der Heilpflanzen", Pahlow, München, 1993
"Wickel, Salben & Tinkturen", Arnold Achmüller, Bozen, 2016
"Die Edda - Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen", F. Genzmer, K. Schier, München 1997
"Kräuterwissen aus alter Zeit", Burkhard Bohne, Stuttgart, 2021
"Mythen & Sagen aus allen Kulturkreisen", Dorling Kindersley Verlag GmbH, München, 2009, 2020